Tobias Reichmuth und Evelyne Pflugi haben mit «The Singularity Group» eine Investmentboutique geschaffen, die gezielt in besonders innovative Firmen investiert. Wie das funktioniert und was das mit Nachhaltigkeit zu tun hat, erklären die prominenten Finanzexperten im Exklusiv-Interview mit der «Umwelt Zeitung».
Frau Pflugi, Herr Reichmuth, erklären Sie uns zuerst Ihren Namen: «The Singularity Group» (TSG), da schwingt das Wort «einzigartig» mit. Worauf bezieht sich das?
Pflugi: Wir machen sicher Einiges anders und differenzierter. Ursprünglich beschreibt der Begriff den Moment, in dem die Künstliche Intelligenz mit der menschlichen gleichzieht. Für uns ist dieser Zeitpunkt irrelevant. Es ist eher ein Symbol für die exponentiell verlaufende Entwicklung, die wir auch in vielen anderen Technologien sehen. Alles Neue wird von mehreren Technologien befördert, zum Beispiel die neue Energielandschaft. Wir glauben an eine technologische Entwicklung, die grossen – zumeist positiven – Einfluss auf bestehende Geschäftsmodelle, die Probleme unserer Zeit und unser Zusammenleben hat und haben wird.
Sie investieren ausschliesslich in Unternehmen, die Innovationen schaffen.
Pflugi: Tobias Reichmuth kam mit einem Problem auf mich zu: Seine Bankberater setzten zwar auf neue Technologien, erwischten sie aber häufig zu einem falschen Zeitpunkt.
Reichmuth: Ein Beispiel: Wenn Sie 2009 in Blockbuster Video investierten, war das der weltgrösste Videoverleih. 2013 war er bankrott. Warum? Sie verschliefen die Streaming-Technologie. Ein anderes Beispiel ist Nokia oder Kodak. Kodak dachte, die Digitalkamera würde sich nie durchsetzen. Sie hatten zwar in die Technologie investiert, aber keinen Umsatz damit gemacht.
Pflugi: Das jüngste Beispiel ist GlaxoSmithKline. Die hatten am meisten Patente für mRNA-Impfstoffe, schaffen es aber nicht, diese fruchtbar zu machen. Darum sagen wir: Wenn wir Innovation richtig messen wollen, dürfen wir nicht darauf schauen, wer im Moment gerade der Leader ist, sondern wer es wirklich schafft, die Innovationen in sein Business-Modell hineinzubringen und damit Umsatz macht.
Kann man Innovation denn verlässlich messen?
Reichmuth: Als Investor sagte ich mir: «Wenn ich ruhig schlafen will, muss ich in innovative Unternehmen investiert sein.» Ich wollte ein Schlaf-gut-Portfolio! Es gibt Firmen, die einen relativ kleinen Umsatzanteil in einer innovativen Technologie haben – aber dann explodiert es innerhalb von zwei Jahren. Dort wollen wir dabei sein. Darum setzen wir auf Firmen, die Umsätze mit innovativen Technologien machen, aber noch nicht unbedingt Gewinn erzielen. Dafür haben wir – derzeit zwölf – innovative Themenbereiche definiert wie Künstliche Intelligenz, Big Data, Robotik, 3D-Druck etc.
Aber nicht jede Innovation ist auch erfolgreich. Wie trennen Sie die Spreu vom Weizen?
Reichmuth: Einfach ausgedrückt: Sobald eine neue Technologie Umsatz macht, hat sie schon bewiesen, dass sie relevant ist. Es gibt auch viele Technologien und Ideen, die nie Umsatz machen – dort werden wir nicht investieren. Umgekehrt gilt: Wenn eine Firma Gewinn macht, hat es jeder Investor begriffen, dann ist der Aktienkurs schon sehr hoch. Wir wollen also früher sein als alle anderen und so einen höheren Aktiengewinn erzielen.
Sie führen einen eigenen «Singularity Think Tank». Welche Rolle spielt er?
Pflugi: Eine wichtige Rolle. Normale Finanzanalysten verpassen oft umwälzende Entwicklungen durch neue Technologien. Wir glauben, dass Leute aus der Industrie besser wissen, was passiert. Deshalb lassen wir uns durch Praktiker beraten, die sind am nächsten dran.
Reichmuth: Sie können es auch so betrachten: Normalerweise versuchen Finanzleute aus der Vergangenheit die Zukunft zu lesen. Unser Think Tank schaut in die Zukunft. Der gute Investor ist konservativ genug, die grossen Risiken zu vermeiden. Und früh genug dran, um Neues zu entdecken.
Eines Ihrer Kernanliegen und gewissermassen das Markenzeichen des Finanzunternehmers Tobias Reichmuth sind nachhaltige Investitionen. Wie stark gewichten Sie dieses Anliegen in der Singularity Group?
Reichmuth: Das ist ganz wichtig. Und zwar aus einer einfachen Überlegung. Wenn Sie Nachhaltigkeit erzielen wollen, kommen Sie nicht darum herum, grosse Probleme zu lösen. Zum Beispiel den Klimawandel oder die Tatsache, dass die Menschen in der Sahara bald kein Wasser mehr haben und Hunger leiden werden. Wie lösen Sie diese Probleme? Durch Innovation.
Nachhaltigkeit ist also auf technologischen Fortschritt angewiesen.
Reichmuth: Genau. Wir glauben, dass Innovationen etwas Gutes sind, dass wir damit die wichtigsten Probleme unserer Zeit lösen können. Im Bereich Erneuerbare Energie kenne ich mich ja gut aus. Da kam jemand ums Jahr 2000 und sagte: «Solarzellen gibt es seit den 60ern. Wie wäre es denn, wenn wir sie in grossen Mengen produzieren würden – mit neuen Materialien und höherem Wirkungsgrad?» In diesem Sinne suchen wir Problemlöser, in die wir dann investieren. So befeuern wir als Investor automatisch die Nachhaltigkeit.
Das leuchtet ein. Die Gegenthese aber ist: Einer der grössten Innovationstreiber in der Geschichte der Menschheit ist der Krieg. Nicht jede Innovation ist auch ethisch gut und nachhaltig.
Pflugi: Der Treiber der Nachhaltigkeit ist die Innovation. Die bekannten ESG-Kriterien – Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung – müssten um einen I-Score für Innovation erweitert werden. Nur ein innovatives Unternehmen kann selbst nachhaltig sein. Nachhaltig ist bei uns auch das Investieren an sich: Wir gehen nicht ständig rein und raus, sondern messen laufend den Innovationsgrad von Firmen. Sobald sie unseren Ansprüchen an Innovation nicht mehr entsprechen, fliegen sie raus aus dem Fonds mit unseren Top-300-Firmen.
Gibt es Durchschnittswerte, wie lange eine Firma in ihrem Portfolio bleibt?
Pflugi: Wir haben bestimmte Hürden: Mindestens 10 Prozent des Umsatzes müssen mit Innovation erzielt werden. Aus diesen Unternehmen wählen wir dann wiederum die innovativsten aus. Es gibt Unternehmen, die seit Lancierung unserer Strategie im Portfolio sind. Die Durchschnittsdauer liegt bei ca. 2,5 Jahren.
Reichmuth: Ein Beispiel: Die Schweizer ABB macht 19 Prozent des Umsatzes aus Erneuerbarer Energie und Robotertechnik. Entsprechend nehmen wir ABB mit 19% des Unternehmenswertes in den Fonds auf. Tesla macht 70 Prozent des Umsatzes mit nachhaltigen Innovationen; also wird Tesla mit 70% des Unternehmenswertes aufgenommen. Entsprechend gewichten wir die innovativsten Firmen höher in unserem Fonds.
Nun gilt Tesla aber als extrem hoch bewertet.
Pflugi: Das berücksichtigen wir, indem wir solche Firmen regelmässig zurückstufen. Es ist wichtig in unserer Strategie, dass wir von keinem Unternehmen abhängig werden. Deshalb ist am Umschichtungstag keine Position in unserem Portfolio grösser als 4%. Wir sind nicht von Einzeltiteln abhängig, weil wir auf technologische Entwicklungen insgesamt – und über alle Branchen – setzen.
Die Politik neigt zu Überregulierungen. Welche Rahmenbedingungen sind gemäss Ihrer Erfahrung am besten geeignet, um ein kreatives und innovationsförderndes Umfeld zu schaffen?
Pflugi: Es ist nicht einfach, in der Welt der Vermögensverwaltung etwas Neues aufzubauen. Für unseren Geschmack ist die Regulierung zu stark, aber wir können damit umgehen und finden kreative Lösungen. Das Problem ist oft eher, dass viele Banken nichts mehr wagen und ihren Kunden dementsprechend nicht immer die innovativen Produkte anbieten.
Welchen Anlagehorizont empfehlen Sie?
Pflugi: Ich bin für immer drin! (Lacht)
Muss man als Kunde bei Ihnen ein gewisses Mindestanlagevermögen mitbringen?
Pflugi: Nein, bei uns können auch Privatanleger investieren.
Reichmuth: Sie können bereits ab einem Anteil, also ungefähr 160 Franken, bei uns investieren. Der Fonds ist täglich liquid, Sie können rein und raus, wann Sie wollen.
Sie empfehlen den Singularity Fonds also auch für Kleinanleger?
Reichmuth: Empfehlen dürfen wir gar nichts. (Lacht) Ich sage nur: Ich investiere in diesen Fonds und auch in das Zertifikat Singularity Small & Mid von TSG, und das langfristig.
Sie sind auch nicht gerade der typische Kleinanleger …
Reichmuth: Ich war mal einer. Und sehen Sie, was aus mir geworden ist. (Lacht)
Pflugi: Es ist kein Risikoprodukt.
Reichmuth: Der Punkt ist doch: Der durchschnittliche Kleinanleger holt seine Aktientipps aus der Zeitung. Ganz ehrlich: Wenn im «Blick» steht, «kaufe Bitcoin», dann verkaufe ich Bitcoin. Denn dann ist der Hype endgültig da. Wir investieren in Titel, von denen Sie noch nicht gelesen haben.
Pflugi: Ein interessanter Titel ist Apple. Die haben bei uns einen Score von 31 …
Was heisst das?
Pflugi: Das heisst, dass 31 Prozent des Umsatzes von Apple mit relevanter Innovation assoziiert werden können. Von aussen würde man eher mehr vermuten.
Dennoch ist der Erfolg von Apple nicht nur ein Marketinghype. Welches ist denn laut Ihrem Ranking die innovativste Firma?
Pflugi: Eine Firma, die unglaublich genial ist, ist Nvidia, ein amerikanisches Halbleiter-Unternehmen, das auch Software herstellt. Nvidia fördert fast alle Technologien, die wir als zukunftsträchtig identifizieren. Sie machen etwas Besonderes: Wenn der Rest des Marktes einmal dieselben Halbleiter produzieren sollte, dann macht sie Nvidia einfach nicht mehr. Was alle anderen können, ist für sie uninteressant. Nvidia macht immer das Neuste.
Zum Schluss noch ein paar allgemeinere Fragen. Wie beurteilen Sie die Perspektiven des Finanzplatzes Schweiz?
Reichmuth: Eigentlich ganz gut. Die Grossbanken müssen sich neu erfinden. Für die Grösse unseres Landes sind wir aber immer noch ein starker Finanzplatz. Wir haben gute Leute, sind in gewissen Bereichen wie Krypto-Währung oder Blockchain wirklich innovativ. Wir dürfen uns aber nicht gängeln lassen von den USA oder anderen. Wir müssen selbst entscheiden, was wir machen. Die Innovation ist auch in Bezug auf die Regulierung entscheidend: Verbieten kann man nur, was es schon gibt.
Welche Auswirkung wird die Corona-Krise auf die Märkte noch haben?
Pflugi: Die Krise ist weniger durch Covid geschaffen worden als durch die Massnahmen der Regierungen. Die monetären und fiskalischen Stimuli haben Aktien allgemein geholfen. Es gab in der Covid-Krise zudem einen Run auf Technologien, auf alles, was Hoffnung versprach – aber eben auch auf Unternehmen, die gar keinen Umsatz machen. Nach und nach trennt sich die Spreu vom Weizen. Unser Portfolio performte nicht nur stark, sondern lieferte auch fundamental starken Umsatz und Gewinn. Diese Unternehmen werden weiter vom Markt honoriert werden.
Herr Reichmuth, Sie sind einem breiteren Publikum als Juror der TV-Sendung «Höhle der Löwen» bekannt geworden. Inwiefern spiegelt dieses Show-Format die reale Welt von Jungunternehmerinnen und -unternehmern?
Reichmuth: Schon sehr stark. Das Einzige, was nicht real ist: Du fällst keinen Investitionsentscheid in einer Stunde. Es braucht eine seriöse Due Diligence. Das heisst, das Investment ist erst verbindlich, wenn eine detaillierte Prüfung durchgeführt worden ist. Aber sonst würde ich die gleichen Fragen stellen. Ich investiere ja auch mein eigenes Geld.
Macht Geld glücklich?
Pflugi: Nein. Aber es macht nicht unglücklich. Als Unternehmerin stelle ich fest: Als wir am Anfang untendurch mussten und noch kein Geld machten, waren wir durchaus nicht unglücklich, sondern motiviert. Man arbeitet dann umso mehr. Solange man das Geld einigermassen richtig investiert, kann man sich zufrieden fühlen.
Dr. Philipp Gut
Zu den Personen:
Evelyne Pflugi ist CEO und Mitgründerin der Singularity Group. Zuvor verantwortete sie als Portfoliomanagerin den Energiefonds von GAM Investment Management in Zürich und betreute als aktive Managerin verschiedene Mandate im Bereich Natural Resources. Davor war sie Portfolio Managerin sowie Analystin bei Capital Research Global Investors in London. Sie begann ihre Karriere bei The Capital Group in Los Angeles, Kalifornien. Evelyne Pflugi hat einen Master-Abschluss in Ingenieurwissenschaften der ETH Zürich mit den Schwerpunkten Lebensmittelwissenschaften, Biochemie und Biotechnologie.
Tobias Reichmuth ist Mitgründer der Singularity Group. Er ist Verwaltungsratspräsident der SUSI Partners AG, einer FINMA-regulierten Vermögensverwaltung in Zug und Zürich, die er seit 2009 zu einem weltweit führenden Finanzierungspartner für nachhaltige Infrastrukturprojekte aufgebaut hat. Er ist ausserdem Direktor der Sustainable Sarl, Vorsitzender und Mitbegründer der Crypto Finance AG sowie Mitgründer und Partner von Maximon. Zuvor war Tobias Reichmuth Strategy Consultant bei der Boston Consulting Group und promovierte an der European Business School. Er hat einen Master-Abschluss in International Management (CEMS) sowie einen Master of Science in Business Administration von der Universität St. Gallen.
Über The Singularity Group (TSG)
TSG ist unabhängiger Research-Spezialist und Anlageberater für Investitionen in weltweite Innovation. Die Investmentboutique mit Sitz in der Schweiz wird von Mitbegründerin Evelyne Pflugi geführt und greift auf ein umfangreiches Netzwerk an Wissenschaftlern, Professoren und Praktikern zu, die sich zu einem weltweiten Think Tank für Innovationstrends vereinen. Der unternehmerisch geprägte Verwaltungsrat, bestehend aus Innovationsinvestor Eric G. Sarasin und Nachhaltigkeitspionier Dr. Tobias Reichmuth (Vorstand SUSI Partners AG) steht TSG beratend zur Seite. The Singularity Group verfolgt das Ziel, exponentielle Innovationen investierbar zu machen. Hierfür hat TSG ein Klassifizierungssystem für Aktien entwickelt, welches die exponentielle Innovation von börsennotierten Unternehmen weltweit, über alle Marktkapitalisierungen und Branchen erfasst. Auf Basis dieser einzigartigen Datenbank lassen sich diejenigen Unternehmen identifizieren und filtern, die zu Innovationen in derzeit 12 Singularity-Sektoren beitragen und davon bereits heute profitieren. Die Anlagephilosophie ist für institutionelle und Privatanleger über den Singularity Fund und das Singularity Small & Mid Portfolio (Zertifikat) investierbar. Beide basieren auf dem Singularity Index™ (SI, Bloomberg Ticker: NQ2045), welcher seit 2017 die Singularity-Strategie abbildet.