«In der Schweiz wird sehr viel Freiwilligenarbeit geleistet»

    Soziales Engagement, persönliche Unterstützung von Menschen ist nicht selbstverständlich und beruht oftmals auf Freiwilligenarbeit. Wer sich unentgeltlich für andere einsetzt, leistet einen grossen Dienst an der Gesellschaft und dient dem Wohle aller. Freiwilligenarbeit ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den sozialen Ausgleich und gehört zur Kultur der Schweiz. Samuel Steiner, Geschäftsleiter benevol Aargau, gibt Einblick in das freiwillige Engagement der Aargauerinnen und Aargauer.

    (Bild: alephnull/stock.adobe.com) Seit Jahren ist die Schweiz in Europa auf Platz zwei was freiwillig geleistete Stunden pro Person angeht.

    Sie sind im Juli ein Jahr im Amt als Geschäftsleiter von benevol Aargau. Können Sie eine kurze Bilanz ziehen?
    Samuel Steiner: benevol Aargau ist gut vernetzt, bietet attraktive Dienstleistungen und ist solide aufgestellt. Freiwilligenarbeit ist für viele Lebensbereiche wichtig, was zum Glück auch der Kanton Aargau anerkennt und entsprechend fördert. Es bleibt unsere ständige Herausforderung, neue Themen zu erkennen, zu bearbeiten und für unsere Mitglieder aufzuarbeiten. Wir versuchen dies mit einem ständig wechselnden Kursangebot, neuen Veranstaltungen. Auch unser Mentoring-Programm für Stellensuchend «Tandem Aargau» funktioniert gut und bringt gute Resultate. Trotz Pandemie war 2021 ein Rekord-Jahr für das Tandem.Noch nie in der siebenjährigen Geschichte des Programms konnten so viele Tandems erfolgreich abgeschlossen werden.

    (Bild: Donovan Wyrsch) Samuel Steiner, Geschäftsführer benevol Aargau wünscht sich, dass Freiwilligenarbeit neben Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Freizeit selbstverständlich dazu gehört.

    Was gefällt Ihnen besonders an diesem Job?
    Freiwilligenarbeit ist ein breites Feld, die Einsätze und Organisationen sind vielfältig, die Personen und ihre Beweggründe höchst unterschiedlich. Was sie alle verbindet, ist der Wille zum persönlichen Engagement und eine hohe Motivation für ihre Tätigkeit. Das motiviert wiederum alle, die mit Freiwilligen zusammenarbeiten.

    Am 9. September 2021, genau 11 Jahre nach der Gründung des Vereins, feierte benevol das Jubiläum «10+ 1 Jahre benevol Aargau». Wie hat sich die Freiwilligenarbeit im Laufe der Jahre verändert beziehungsweise entwickelt?
    Nach wie vor wird in der Schweiz sehr viel Freiwilligenarbeit geleistet. Freiwilliges Engagement ist aber weniger selbstverständlich als früher und wird weniger als Bürgerpflicht wahrgenommen. Es geht stärker um das persönliche, individuelle Engagement und auch darum, selbst Erfahrungen zu machen und Neues zu lernen. Freiwillige erwarten heute auch eine professionellere Betreuung. Viele Organisationen und Institutionen haben in den letzten Jahren ihre Freiwilligenkoordination professionalisiert und verstärkt. Dieser Prozess hält an. Die Einsicht, dass Freiwillige zwar unentgeltlich arbeiten, Freiwilligenarbeit aber trotzdem nicht gratis ist, setzt sich immer mehr durch.

    Rund ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung in der Schweiz engagiert sich freiwillig. Welche Bedeutung hat die Freiwilligenarbeit in der Schweizer Gesellschaft heute?
    Freiwilligenarbeit ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den sozialen Ausgleich und gehört zur Kultur der Schweiz. Seit Jahren ist die Schweiz in Europa auf Platz 2 – hinter den Niederlanden – was freiwillig geleistete Stunden pro Person angeht. Vereine, Stiftungen, wohltätige Organisationen und informelle Netzwerke übernehmen in der Schweiz wichtige Aufgaben, die in anderen Ländern fehlen, staatlich organisiert sind oder teuer bezahlt werden müssen. In den Bereichen Sport, Kultur, Gesundheit, Soziales und Integration funktioniert sehr viel nur dank freiwilligem Engagement.

    (Bild: Donovan Wyrsch) benevol Aargau informiert über die verschiedenen Möglichkeiten von Unterstützung und Freiwilligenarbeit.

    Freiwilligenarbeit ist sehr vielfältig. Wie sieht das freiwillige Engagement von benevol Aargau aus?
    Im Aargau gibt es zahlreiche und höchst unterschiedliche Möglichkeiten, sich freiwillig zu engagieren. Natürlich sind besonders in den Bereichen Soziales und Gesundheit viele Freiwillige gesucht, zum Beispiel in Pflegeheimen, bei den Kirchgemeinden oder im Asylwesen. Freiwillige restaurieren aber auch alte Fahrzeuge, vermitteln Bogenschiessen oder unterstützen Jugendliche auf der Suche nach einer Lehrstelle. Dazu kommen Einsätze im Naturschutzgebiet, im Museum oder im Brockenhaus.

    Aktuell macht der Krieg in der Ukraine viele Menschen betroffen und sie möchten helfen. Wie ist hier benevol Aargau engagiert und welche Möglichkeiten gibt es, diese Menschen zu unterstützen?
    benevol Aargau informiert über die verschiedenen Möglichkeiten von Unterstützung und Freiwilligenarbeit. Wo sind Geld- und Sachspenden möglich, wie können persönliche Unterkünfte registriert werden, wo kann man sich für Einsätze in Betreuung und Begleitung melden. Die eigentliche Koordination der Freiwilligen passiert bei den sieben regionalen Koordinationsstellen für Freiwilligenarbeit im Flüchtlingswesen. Diese haben viel Erfahrung darin, auch bisher haben sich schon viele Menschen im Asylwesen engagiert.

    Wo ist Freiwilligenarbeit zurzeit besonders gefragt?
    Aktuell ist sicher die Nachfrage nach Engagement zur Unterstützung der Personen, die aus der Ukraine geflohen sind, speziell. Dass der Staat offiziell kommuniziert, dass er seine Aufgaben nur dank der Unterstützung von Freiwilligen erfüllen kann, passiert selten. Etwas langfristiger betrachtet gibt es immer mehr Bedarf in der Unterstützung für ältere Menschen. Die Anzahl Menschen im hohen Alter nimmt jährlich zu, dieser Trend wird auch in den nächsten Jahren weitergehen. Neben Angehörigen und professioneller Unterstützung leistet Freiwilligenarbeit einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität dieser Menschen.

    Wo und wie rekrutieren Sie Freiwillige?
    Zentral ist die Vermittlungsplattform benevol-jobs.ch. Hier können Organisationen ihre Einsätze aufschalten und mit interessierten Personen in Kontakt kommen. Im Aargau sind jeweils rund 100 verschiedene Möglichkeiten, sich zu engagieren, aktuell online. Ganz wichtig ist natürlich auch die Mund-zu-Mund-Propaganda, die meisten Freiwilligen werden durch andere Freiwillige angeworben. Und schliesslich hat jede Organisation, die auf Freiwilligenarbeit setzt, ihre eigenen Wege und Kommunikationskanäle, um interessierte Personen zu erreichen.

    2020 war auch für die Freiwilligenarbeit ein einschneidendes Jahr. Wie systemrelevant ist das freiwillige Engagement in Krisenzeiten?
    Die Pandemie hat gezeigt, wie gross das Potential der Freiwilligenarbeit ist, schnell und unkompliziert Lücken zu füllen und flexibel zu reagieren. Insbesondere informelle Freiwilligenarbeit wie Nachbarschaftshilfe entsteht spontan und wirkt direkt. Gleichzeitig sollten die Grundbedürfnisse der Gesellschaft auch ohne Freiwilligenarbeit zu erfüllen sein. Freiwilliges Engagement soll und darf nicht dazu führen, dass sich zum Beispiel der Staat aus der Verantwortung nimmt und mit Verweis auf Freiwilligenarbeit weniger Ressourcen zur Verfügung stellt.

    Was steht bei benevol Aargau dieses Jahr auf der Prioritätenliste?
    Nachdem Veranstaltungen in den letzten zwei Jahren eher schwierig waren, starten wir dieses Jahr durch mit unseren verschiedenen Fach- und Vernetzungsanlässen. Zudem zieht im Sommer unsere Geschäftsstelle um, wir sind danach noch näher am Bahnhof Aarau.

    Was wünsche Sie sich für benevol Aargau für die Zukunft?
    Ich wünsche mir, dass sich alle Menschen im Verlauf ihres Lebens freiwillig engagieren und Freiwilligenarbeit neben Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Freizeit selbstverständlich dazu gehört. Dazu braucht es auch das Verständnis und die Unterstützung von Politik und Wirtschaft.

    Interview: Corinne Remund


    Sozialpreis 2022 – Anerkennung für soziales Engagement

    Viele Menschen investieren unentgeltlich Zeit, ohne eigennützige Motive zu verfolgen. Dieses freiwillige, soziale Engagement ist nicht selbstverständlich. Die Aargauer Landeskirchen und benevol Aargau, die Fachstelle für Freiwilligenarbeit, honorieren dies mit dem Sozialpreis. Gemeinnützige Organisationen und Gruppierungen können sich bis zum 20. Juni 2022 mit ihren Projekten bewerben. Honoriert werden Privatpersonen, Organisationen oder Institutionen, welche im Sozialen innovative und aussergewöhnliche Projekte mit Kooperationen in der Freiwilligenarbeit durchführen. Die Preisverleihung ist ein Zeichen der Wertschätzung und soll Menschen zu Freiwilligenarbeit motivieren.

    www.benevol-aargau.ch
    www.sozialpreis-ag.ch

    Vorheriger ArtikelSehen und gesehen werden
    Nächster ArtikelBeromünster-Radioweg lockt mit neuen Hörgeschichten