«Ohne die rund 1000 Freiwilligen geht es fast nicht»

    Die Freiwilligenarbeit ist ein Grundpfeiler des Schweizerischen Roten Kreuz Kanton Aargau: Geschäftsführerin Regula Kiechle, stellt die Dienstleistungen des SRK Kanton Aargau wie beispielweise den Entlastungsdienst kurz vor. Sie spricht auch über den Stellenwert der Freiwilligenarbeit, die auch heute noch von der Gesellschaft allzu oft als selbstverständlich angesehen wird.

    (Bilder: zVg) Regula Kiechle: «Betreuende Angehörige haben keine Lobby.»

    Beim SRK Kanton Aargau engagieren sich zahlreiche Freiwillige. Welchen Stellenwert hat ihre Arbeit?
    Regula Kiechle: Die Freiwilligenarbeit ist ein Grundpfeiler des SRK. Ohne die fast 1000 Freiwilligen könnten wir unsere Hilfsangebote nur schwer aufrechterhalten. Sie setzen sich dafür ein, dass im ganzen Kanton bedürftige Menschen jeden Alters und jeder Herkunft auf Hilfe und Unterstützung zählen können. Gleichzeitig ist es wichtig, dass sich die Freiwilligen in ihrem Engagement gut aufgehoben und gestärkt fühlen. Bei Dienstleistungen, wie beispielsweise dem SRK-Entlastungsdienst, mit vorwiegend komplexen Situationen im Gesundheitsbereich setzt das SRK aus rechtlichen und fachlichen Gründen auf spezifisch geschulte, bezahlte Mitarbeitende. Eine faire Abgeltung dieser Arbeit ist uns wichtig.

    Der Kanton geht von rund 51’000 betreuenden oder pflegenden Angehörigen aus. Was bedeutet es kranke Menschen zu Hause zu pflegen und zu betreuen, respektive was sind da die grossen Herausforderungen?
    Pflegende und betreuende Angehörige leisten über eine längere Zeit hinweg vielfältige Unterstützung in der Alltagsbewältigung ihrer Nahestehenden. Das bedeutet in vielen Fällen eine sehr hohe oder sogar stete Präsenz dieser Angehörigen. Oft beginnt es mit kleinen Handreichungen und resultiert dann in einer Betreuung fast rund um die Uhr. Nebst den Betreuungsarbeiten müssen sie auch ihre Berufstätigkeit, Weiterbildungen und die eigene Familienarbeit unter einen Hut bringen. Alldem gerecht zu werden, ist auf die Dauer eine grosse Herausforderung. Ich erachte es als absolut notwendig, vom ersten Moment an die Möglichkeiten externer Unterstützung gezielt einzusetzen. Denn nur wer zu sich selbst Sorge trägt, kann auch über längere Zeit für jemand anderen da sein.

    Wieso ist die Anerkennung für die wertvolle Arbeit der betreuenden Angehörigen noch zu wenig gross?
    Die Betreuungsarbeit von Angehörigen wird seitens der Gesellschaft auch im 2022 immer noch allzu oft als selbstverständlich angesehen! Für deren faire Abgeltung fühlt sich niemand so richtig verantwortlich. Betreuende Angehörige haben keine Lobby. Sie sind abends zu müde, um sich noch politisch zu engagieren. Von Lobeshymnen und warmen Worten seitens der Politik kann ein betreuender Angehöriger leider nichts kaufen. Reduziert jemand beispielsweise sein Arbeitspensum und betreut die Partnerin oder den Vater, so gibt es derzeit zwar schon Ansätze eines marginalen Entgelts. Allerdings haben diese Menschen später nach wie vor Lücken in ihrer Altersvorsorge.

    Nebst der finanziellen ist auch die emotionale Belastung ein ungelöstes Problem. Organisatorisch ist es für betreuende Angehörige schwierig, aktives Mitglied eines Sport- oder Musikvereins zu sein oder Ferien zu machen, wie es für andere ganz normal ist. Das muss sich definitiv ändern! Erkranken nämlich diese Angehörige aufgrund Erschöpfung ebenfalls, ist niemandem geholfen.

    Derzeit erspart diese praktisch unentgeltliche Betreuungsarbeit der Gesellschaft horrende Kosten. Berechnet man beispielsweise den Marktwert der Betreuungsarbeit einer an Demenz erkrankten Person, kommt man je nach Schweregrad der Erkrankung auf einen jährlichen Betrag zwischen 30’000 bis 80’000 Franken pro betreuenden Angehörigen (Schweizer Durchschnitt).

    Die rund 1000 Freiwilligen der SRK Kanton Aargau setzen sich dafür ein, dass im ganzen Kanton bedürftige Menschen jeden Alters und jeder Herkunft auf Hilfe und Unterstützung zählen können.

    Das SRK Kanton Aargau bietet Entlastungsdienste für pflegende Angehörige an. Welche Dienstleistungen bieten Sie an?
    Wir entlasten Angehörige von körperlich oder geistig beeinträchtigten Mitmenschen, betagten und gebrechlichen Personen und von demenziell Erkrankten. Die geschulten Rotkreuz-Betreuenden lösen die Angehörigen punktuell oder regelmässig ab – ob in den eigenen vier Wänden oder im SRK-Tageszentrum Aarau respektive der SRK-Tagesstätte in Frick. Das verschafft den Angehörigen wohlverdienten Freiraum, um diverse Verpflichtungen wahrzunehmen, auszuspannen und Kräfte für ihre anspruchsvolle Aufgabe zu sammeln.

    Wie funktioniert der Rotkreuz-Entlastungsdienst?
    In einem ersten Schritt nehmen die Angehörigen mit uns Kontakt auf. Wir nehmen uns Zeit und klären gemeinsam ihre Anliegen, Bedürfnisse und Fragen. Häufig werden dabei auch Fragen rund um die Finanzierung der Dienstleistung beantwortet. Im nächsten Schritt vermitteln wir eine qualifizierte Rotkreuz-Mitarbeiterin, die Aufgaben in der Betreuung übernimmt, wie beispielsweise leichte pflegerische Unterstützung oder Hilfe bei der Einnahme von Mahlzeiten und Medikamenten. Zu den Aufgaben gehört auch eine passende individuelle Alltagsgestaltung entsprechend der zu betreuenden Person.

    Interview: Corinne Remund

    www.srk-aargau.ch

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