«NEIN zur Zweiklassenmedizin und hohen Folgekosten»

    Am 9. Juni stimmen wir über die Initiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» ab: Die Kostenbremse-Initiative verlangt einen Kostendeckel für grundversicherte Leistungen. Dadurch wird der Versicherungsschutz ausgehöhlt. Die Gesundheitsversorgung wird rationiert. Nur wer es sich leisten kann, wird in Zukunft jederzeit gut versorgt. Mit der Kostenbremse wird die Zweiklassenmedizin zur Tatsache. Dagegen wehren sich verschiedene Organisationen aus dem Gesundheitswesen gemeinsam. Dr. med. Jürg Lareida, Facharzt Endokrinologie und Diabetologie und Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes, kämpft für ein Nein, und erklärt welche verheerenden Folgen die Initiative hätte.

    (Bild: zVg)

    Die Prämien der Krankenkassen steigen Jahr für Jahr. Für viele Menschen ist eine finanzielle Grenze erreicht. Nun will die Initiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» den kontinuierlichen Anstieg auf politischer respektive gesetzlicher Ebene stoppen. Ist dies der richtige Weg?
    Dr. med. Jürg Lareida: Tatsächlich steigen die Kosten für die obligatorische Grundversicherung seit vielen Jahrzehnten kontinuierlich. Prozentual steigen die Prämien stärker als die Löhne, absolut stimmt dies so jedoch nicht. In Franken haben sich die Löhne viel stärker entwickelt. Dennoch belasten die Krankenkassenprämien das Budget vor allem von Familien mit Kindern. Viele Versuche wurden unternommen, die Kosten in den Griff zu kriegen. Erfolg hatten diese Massnahmen kaum, dafür ist der Aufwand für Administration bei Bund, Kanton, Kassen und Leistungserbringern stark angestiegen, und verursachen Mehrkosten. Es muss deshalb die Frage gestellt werden, ob der Weg über neue Gesetze der richtige ist.

    (Bild: zVg) Dr. med. Jürg Lareida, Facharzt Endokrinologie und Diabetologie und Präsident Aargauischer Ärzteverband kämpft für ein Nein: «Die Hausarztmedizin kommt noch mehr unter Druck und es entwickelt sich eine Zweitklassenmedizin.»

    Wieso steigen denn die Prämien respektive die Gesundheitskosten jährlich so massiv?
    Wir alle möchten möglichst tiefe Prämien bei maximaler Leistung. 80 Prozent der Gesundheitskosten werden durch chronische Erkrankungen wie Herzkreislauf-, Stoffwechsel-, Lungen-, Krebserkrankungen ausgelöst. Unser System ist so gebaut, dass diese 20 Prozent der Bevölkerung die bestmögliche Behandlung und Pflege erhalten. Die Gesunden erhalten nichts bis wenig, sodass für die gesunde Bevölkerung nicht offensichtlich ist, wieso die Gesundheitskosten ansteigen. Verbesserte Diagnostik, Therapien wie auch insbesondere das zunehmende Übergewicht bei gleichzeitig abnehmender körperlicher Aktivität führen jedoch dazu, dass immer mehr Leistungen erbracht werden.

    Welche Idee steckt hinter der Kostenbremse-Initiative?
    Die Initiative will, dass die Gesundheitskosten nur maximal 20 Prozent mehr als die durchschnittlichen Löhne ansteigen dürfen. Wird dieser Wert überschritten, müssen Massnahmen ergriffen werden. Folge sind entweder Rationierungen oder lineare Senkung der Tarife, was ebenfalls zu einer Reduktion der Leistungen führen muss, sind doch viele Leistungen nicht mehr adäquat vergütet. Es wird somit Nutzen vernichtet. Gleichzeitig wird die Hausarztmedizin noch mehr unter Druck kommen. Hinzu kommt die grosse Gefahr, dass Therapien zu spät gemacht werden können und somit hohe Folgekosten entstehen.

    Medizinische Versorgung darf doch nicht von der Konjunktur abhängen?
    Der Mechanismus der «Kostenbremse» ist absurd. Sie koppelt die Gesundheitsausgaben an die Wirtschaftsentwicklung. Doch Erkrankungen treten häufiger auf, wenn die Wirtschaft schlecht läuft. So ist beispielsweise die Arbeitslosigkeit ein grosses Gesundheitsrisiko. Die Kostenbremse Initiative begrenzt die Gesundheitsversorgung dann am strengsten, wenn es am meisten davon braucht. Eine gute Gesundheitsversorgung richtet sich nach dem Bedarf der Patienten und Patientinnen und nicht nach der Konjunktur.

    Die Kostenbremse führt also in die Zweiklassenmedizin?
    Wenn die Mitte von Kosten spricht, meint sie damit die von der Grundversicherung finanzierten Leistungen. Und die möchte sie begrenzen. Es geht also nicht darum, dass ein Versicherter für die Grundversicherung weniger bezahlen muss. Sondern dass die obligatorische Grundversicherung für die Gesundheitsleistungen nicht mehr aufkommt. Nur wer privat bezahlen kann, wird sich weiterhin jederzeit auf eine hohe Qualität und einen rechtzeitigen Zugang zu notwendigen Behandlungen verlassen können. Es ist klar, die Initiative führt zu willkürlicher Rationierung und Zweiklassenmedizin.

    Die Kostenbremse ist unehrlich, verkauft wird uns die Katze im Sack!
    Die Kostenbremse gibt ein Kostenziel vor, aber keine Lösungen, wie es erreicht wird. In Tat und Wahrheit werden mit der Kostenbremse Initiative willkürlich Leistungen aus der Grundversicherung unabhängig vom Bedarf begrenzt. Wäre die Kostenbremse Initiative im Jahr 2000 eingeführt worden, wäre heute über ein Drittel der Leistungen der Grundversicherung ohne Versicherungsdeckung. Dies trifft vor allem die Menschen, die auf eine solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung angewiesen sind.

    Das Gesundheitswesen ist jetzt schon stark reguliert. Mit dieser Kostenbremse würde es noch stärke beschnitten. Wie sehen Sie das?
    In den letzten 20 Jahren wurde das Krankenversicherungsgesetz 44-mal revidiert. Die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen erfolgte nicht, weil keine Massnahmen ergriffen worden wären. Im Gegenteil: Die zunehmende Bürokratie frisst immer mehr Ressourcen. Die Kostenbremse Initiative ist ein Paradebeispiel für hohe Regulierungsfolgekosten. Jährlich müssten neue administrative Massnahmen eingeführt werden. Die Initiative fördert die Regulierungsflut und führt zu einem trägen Gesundheitssystem in dem immer mehr die Administration statt der Patientinnen und Patienten im Vordergrund stehen.

    Massiv betroffen vom Kostendeckel wäre wohl auch das Gesundheitspersonal?
    Die Gesundheitskosten sind hauptsächlich Lohn und Personalkosten, wobei das Pflegepersonal die grösste Gruppe ausmacht. Die «Kostenbremse» erhöht den Kostendruck für diese Beschäftigten und widerspricht der Pflegeinitiative. Der Sparzwang verstärkt den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen und führt zu Versorgungsengpässen.

    Was wären die Folgekosten der Kostenbremse?
    Kranke Menschen erhalten durch die Kostenbremse die notwendigen Behandlungen gar nicht oder erst verspätet. Das kann die Kosten sogar erhöhen, weil die Behandlungen aufwändiger werden. Durch gute und schnelle Behandlungen können Menschen aber schneller wieder in ihr Arbeitsleben zurückkehren und ihre sozialen Rollen wahrnehmen. Dies bringt nicht nur Lebensqualität, sondern spart Kosten für Invaliden und Hinterbliebenenrenten, Pflege und vieles mehr.

    Ergo – diese Kostenbremse Initiative schadet unserem Gesundheitssystem mehr als dass sie nützt?
    Ja. Es stellt sich die Frage wollen wir in Kauf nehmen, dass das Gesundheitssystem schlechter und dennoch nicht günstiger wird? Wollen wir lange Wartezeiten für Therapien? Wollen wird, dass Leute mit Beziehungen oder Geld eine bessere Medizin erhalten? Ich beantworte diese Fragen klar mit Nein, diese Initiative hat grosses Schadenspotenzial.

    Interview: Corinne Remund


    NEIN-Komitee

    Bis heute gehören dem Komitee folgende Organisationen an:

    • Schweizerischer Verband der Berufsorganisationen im Gesundheitswesen (svbg)
    • Spitex Schweiz
    • Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe)
    • Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK)
    • Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH)
    • Schweizer Physiotherapie Verband (Physioswiss)
    • Foederatio Medicorum Chirurgicorum Helvetica (FMCH)
    • Schweizer Dachverband der Ärztenetze (medswissnet)
    • Die Spitäler der Schweiz (H+)
    • Schweizerischer Apothekerverband (pharmaSuisse)
    • Schweizerisches Konsumentenforum (kf)

    www.nein-zur-kostenbremse.ch

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